2024 – von Sisimiut in die Diskobucht

2024 – von Sisimiut in die Diskobucht

Eisberg aus der Vogelperspektive

Glück ist flüchtig wie Tau in der Morgensonne! Und trotzdem gibt es Momente, an denen die Zeit still zu stehen scheint. Das Meer ist regungslos. Nur das Wasser kräuselt sich mit jedem Paddelschlag entlang der Kajaks. Wir hören die Wale. Mit dem Sonnenaufgang wird der aufsteigende Blas der vielen Buckel- und Finnwale sichtbar. Kurzlebige Säulen aus Wasserdampf flimmern in der Luft. Goldfarben reflektieren sie im Licht der aufgehenden Sonne. Glücksmomente!

Rückblende: Zwei Wochen zuvor holen wir unsere beiden Kajaks aus dem Winterquartier der Knud Rasmussen Høgeskole in Sisimiut. Englischlehrerin Stine empfängt uns herzlich und sie hat alles vorbereitet. Wir müssen nur noch die Kajaks durch das Gras hinunter zum Meer ziehen. Vielen Dank an dieser Stelle an alle Grönländerinnen und Grönländer für die ständige hilfsbereitschaft, die wir seit Jahren erfahren. Wir sortieren unsere Ausrüstungsteile und bereiteten alles für den nächsten Morgen vor. Rechtzeitig wollen wir in See stechen.

Trotz der jahrelangen Reise seit 2017: Es ist immer wieder so aufregend! Start einer großen Etappe entlang der Westküste von Grönland. Die Luft ist dermaßen frisch und belebend. Glücklich sitzen wir in den Kajaks und paddeln durch den Hafen von Sisimiut hinaus auf das Meer. Noch ein Blick zurück auf die bunten Häuser. Nordkurs. Die Sarfaq Ittuk (das Küstenschiff der Arctic Umiaq Line) kreuzt hinter uns das Kielwasser, ebenfalls in Richtung Norden. Auf den Bergen liegt Schnee. Die Knospen der arktischen Weide öffnen sich nur zögerlich. Es war ein kaltes Frühjahr. Der Sommer hat bisher noch keine Fahrt aufgenommen. Die Wetterprognose ist jedoch ordentlich. Wenig Wind, dafür bedeckt und keine Sonne in Sicht. Tief liegen beide Boote satt im Wasser. Essen und Ausrüstung für die kommenden Tage und Wochen.

Wir sind der Wildnis verfallen! Grönland hat unser Leben über die vielen Jahre ein Stück weit verändert. Wir erleben draußen eine unbeschreibliche Freiheit und lernen andererseits Respekt und Demut. Wir sind äußerst dankbar, dies erleben zu können.

Wieviel Ladung passt in unsere Kajaks? Immerhin so viel, dass wir knappe 4 Wochen autark unterwegs sein können. Vorausgesetzt wir fangen auch Fische. Wenn Siedlungen dazwischen liegen, packen wir weniger ein und das Kajak ist leichter zu fahren. Im Vergleich zu Südgrönland haben wir nun deutlich wärmere Klamotten eingepackt, da wir uns so langsam Nordgrönland näheren. Unsere Route führt dieses Jahr entlang der Schärenküste. Bekannt für zähen Nebel. Mit diesem sollten wir noch unliebsame Bekanntschaft machen. Doch dazu später.

Nördlich von Sisimiut – Kurs Nord!

Unser neues Zelt von Fjällräven kommt endlich zum Einsatz. Zum einen ist es blau statt rot und zum anderen ist es ein freistehendes Kuppelzelt. Wir haben die Variante 3 Personenzelt und robust gekauft. Das Coolste: Im Gegensatz zum alten Tunnelzelt können wir auf 2 Seiten schnell aufmachen und rausschauen. Das ist gleicchzeitig auch eine gute Belüftung. Und wie immer sind die Plätze in Grönland traumhaft.

Mitte Juli: Arktischer Mohn gerade erst in der Blüte

Wir sind wählerisch mit unseren Übernachtungsplätzen und trotzdem finden wir immer wieder großartige (5 Sterne) Plätze. Was für ein Paradies und welch Privileg, überall sein Zelt aufschlagen zu dürfen. Die Freiheit reicht bis zum Horizont. Fahren wir früh aufs Meer, laufen wir heute auf die Berge oder verbringen wir einen Tag am Zelt? Wir beobachten die Gezeiten – unendliche Ruhe. Wir lauschen dem Wind und dem Rauschen der Brandung. Stets mit einem Blick auf das Wetter. Ein wenig ist die Freiheit schon eingeschränkt – das Kajakfahren hängt an den Launen der Natur. Das wird uns beim Queren des Nordre Isortoq mehr als deutlich. Kaum erreichen wir die Mitte des Fjords, schlägt uns der listige Nordwind ins Gesicht. Plötzlich müssen wir kämpfen. Wellen, Strömung. Schnell eine Entscheidung treffen, am besten die Richtige! Wir ändern unseren Kurs und paddeln Seite an Seite zu querabliegenden kleinen Inseln. Auf einer Schäre machen wir abgekämpft eine kurze Pause. Es ist saukalt. Arme ausschütteln – Bewegung hilft. Die kleine Insel wird von Eiderenten bewohnt. Im Gras befinden sich die Nester. Deshalb verzupfen wir uns zügig. Wir gönnen uns einen Energieriegel und fahren in einem Bogen auf die andere Seite des Nordre Isortoq und ziehen die Kajaks an einem rosaroten Strand an Land. Wir stellen das Zelt auf und warten erstmal ab. Der Wind ist einfach zu stark.

Nest einer Eiderente

Mit unserem Freund Aqqaluq in Sisimiut sind wir noch vor der Abreise die Route durchgegangen. Auf unserer Karte zeichnete er die heiklen Stellen ein. Der Nordre Isortoq ist so ein Ort. Es heisst wie immer aufpassen. Das Meer ist lebendig! Der Nordre Strömfjord, zwei Tagesetappen weiter nördlich, ist noch mächtiger. Der Fjord ist weit verzweigt und führt bis an das Inlandeis. Mit einem Tidenhub von rund 3 Metern kann man sich leicht vorstellen, wie viel Wasser mit dem Gezeitenwechsel durch den engen Ausgang gepresst wird. Kein Wunder, dass wir immer wieder vom Kurs abgetrieben werden, auch wenn wir den Fjord bei Niedrigwasser queren. Auf der anderen Seite begegnen wir einem Motorboot. Ein Fischer mit seiner Frau. Sie machen erstmal ein Bild von uns und wir wechseln ein paar Worte nach dem Woher und Wohin. Schön, andere Menschen zu treffen. Die Insel Kangeq umfahren wir in einer Art Kanal. Der Wind schiebt von Süden. So sind wir zügig unterwegs. Da lohnt es sich schon fast ein Segel zu setzen. Bei der Ausfahrt scheint noch die Sonne – leider nicht mehr lange. Für die nächsten Tage verschluckt uns der Küstennebel.

Silberwurz

Schemenhaft tauchen Inseln aus dem grauen Einerlei. Ohne GPS wären wir bei solch einem Wetter da draußen wirklich verloren. An einem Kap begegnen wir einer Gruppe Buckelwalen. Das Brüllen geht uns durch Mark und Bein. Ganz dicht drücken wir uns an die Felsen. Beeindruckend. Wussten nicht, das Wale so dermaßen laut sein können. Hammer! In einer Bucht finden wir einen einsamen Platz zum Zelten. „Etwas Warmes braucht der Mensch!“ – wie wahr. Zuverlässig heizt unser Brenner. Heiße Suppe und schon sieht die Welt anders aus. Morgen fahren wir weiter nach Attu, eine kleine Siedlung an der Westküste. Ich steige noch auf den Berg über unser Lager und mache ein Bild.

Das Zelt und die Kajaks sind die einzigsten Farbkleckse in der monochromen Welt des grauen Nebels!

Heute erreichen wir Attu – immer noch Nebel. Knirschend setzen wir auf den mit Glasscherben übersäten Strand auf. Die Siedlung wirkt wie ausgestorben an diesem Samstagmorgen. Wir ziehen die Kajaks an Land. Im Pilersuisoq Landhandel wärmen wir uns auf. Wir bekommen einen dampfenden Kaffee vom Personal und bestaunen uns gegenseitig. Irgendwie wirken wir ein wenig deplatziert in unseren bunten Trockenanzügen. Ein Fischer erzählt uns, dass der letzte Schneesturm erst vor vor 4 Wochen durch ist und der Sommer sei zum Leidwesen der Einwohner noch immer nicht in Sicht. Und unberechenbare „Strudel gibt es zwischen den Inseln“ – wir sollen aufpassen. Ein Quartier gibt es in Attu leider nicht und unser Zelt wollen wir mitten im Ort auch nicht aufstellen. Nach 2 Stunden verlassen wir daher Attu. Eine Mutter mit zwei Kids winkt uns nach und schnell hat uns der Nebel erneut verschluckt. Wir passieren eine Hundeinsel. Die Schlittenhunde werden in den Sommermonaten ausgesetzt und hin und wieder mit Fischen gefüttert. Dort sollte man besser nicht anlanden. Nachdem wir unseren ersten Eisberg dieser Reise passiert haben, erreichen wir nach 2 Stunden die aufgegebene Siedlung Ikerasaq. Etwas spooky. Weiße Kreuze stehen im Nebelwind. Nur eine einzige Hütte ist intakt. In der Mitte des Raums steht ein Topf. Es tropft vom Dach in den Topf. Zum Glück haben wir ein Zelt, warme Schlafsäcke und einen immer funktionierenden Kocher. Es ist saukalt. Der Nebel zieht durch alle Nähte. Brrrrrrr….. nicht nice. Schnell in die warmen Daunenschlafsäcke.

Die Siedlung Attu an der Westküste
Kurz vor Kangatsiaq lichtet sich der Nebel
Treue Kajaks

Noch weniger nice ist der nächste Morgen. Wir verlassen das trockene Zelt nur deshalb, weil der Wind günstig aus Süden weht und das Meer ruhig ist. Überall Nebelnässe. Es ist heute eine Qual bei Temperturen knapp über dem Gefrierpunkt in den feuchten Trockenanzug zu steigen. Der Preis für eine solche Reise sind auch solche Momente. Es hilft nur eines: Schneller paddeln, damit wir wieder warm werden. Der Nebel lichtet sich und damit steigt auch wieder die Stimmung. Das Wetter wird besser. In Kangatsiaq decken wir uns mit frischen Sachen ein. In der Sporthalle dürfen wir sogar heiß duschen, bevor es abends weiter geht. Endlich wieder Sonne!

Die verlassene Siedlung Qeqertarssuatsiaq

Wir sind zwischen Inseln und Kanälen nun nicht mehr so ausgesetzt unterwegs. Außerdem ist das Wetter deutlich günstiger. Vorbei ist der Nebel. Endlich Sonne. In Kangatsiaq hatten wir von einem Handwerker einen super Tipp bekommen. Ein Fjord führt ganz, ganz schmal in die Diskobucht – nur mit einem Kajak zu befahren. Guter Plan, den nehmen wir. Aber vorerst sind wir noch auf breiterem Gewässer unterwegs. Wir passieren Inseln mit brütenden Vögeln. Am schönsten sind die Küstenseeschwalben. Es sind elegante Vögel und sie haben den längsten Zugweg überhaupt. Sie überwintern in der Südpolarregion und brüten in der Arktis. Wunderbare Tiere!

Wir finden Nachmittags einen angenehmen Platz zum Zeltaufbau. Leider ohne Frischwasser. Während Ingrid das Lager einrichtet steige ich auf die ca. 200 m hohe Anhöhe und halte Ausschau nach einem Bach oder einem See für Trinkwasser. Ich finde nur nach langer Suche das frische Nass, dafür eröffnet sich nördlich ein grandioser Blick auf die vergletscherte Diskoinsel. Mit gefülltem Wassersack komme ich zurück. Wir kochen leckere Spaghetti und mit der sinkenden Sonne geht ein super schöner Tag zu Ende. Aber was heißt schon untergehende Sonne. Es ist 24 Stunden hell. Wir haben für die „Nacht“ dunkle Schlafbrillen dabei. Damit lässt es sich gut schlafen. Aber eigentlich ist es unwichtig. Die Uhrzeit spielt im Sommer keine Rolle.

Am nächsten Abend wird es kurios: Im Zelt hören wir den Blas vieler Wale. Es ist richtig laut. Wir springen aus den Schlfsäcken und schauen auf den Fjord. Zwei Dreiergruppen Buckelwale jagen die Fischschwärme im Fjord. Von unten taucht jeweils mit geöffnetem Maul ein Wal nach oben. Platschend fallen die mächtigen Tiere wieder ins Wasser. Schon wieder einer diesen vielen Glücksmomente.

Die Diskobucht erreichen wir nach nur 13 Tagen Fahrt über eine ganz, ganz enge Durchfahrt. Wir rumpeln über ein paar Steine und gleiten dann wieder durch tiefes Wasser in die kleine Siedlung Ikamiut. Hier decken wir uns mit Proviant ein und schnacken mit dem Pilersuisoq Dorfladenleiter. Es ist warm. Der Sommer ist da.

Mit frischen Vorräten nehmen wir Südkurs in die Südostbucht der Diskobay. Wir finden einen traumhaften Sandstrand und bauen unser Zelt auf. Hier machen wir 2 Tage echte Pause. Relaxen und gut kochen. Immer wieder beobachten wir die Wale vom Felsen aus. Eine Kuh mit Kalb kommen dicht ans Ufer geschwommen. Am nächsten Morgen erleben wir die anfangs beschriebenen Walbegegnungen. Ein Traum. Die Bucht ist voller Wale und wir mitten drin. Ansonsten sind wir allein auf dem Wasser. Da fehlen einem die Worte. 2 Tage später sind wir früh morgens unterwegs und queren den Fjord nach Qasigiannguit. Mit ablaufendem Wasser haben wir einen mächtgen Speed drauf. Wir fahren wie auf einem Fluss. Das Wasser sprudelt. Kurz vor Qasigiannguit begleitet uns noch ein Finnwal ein paar Minuten lang. Er schwimmt neben uns und zeigt keine Scheu. Beeindruckend.