2023 – Sommer an der Westküste

2023 – Sommer an der Westküste

Einen kompletten Sommer Freiheit. So eine Gelegenheit gibt es nicht oft im Leben. Wir haben sie genutzt! Drei spektakuläre Monate an der grönländischen Westküste.

Vor unseren beiden Kajaks schießt der massige Körper eines Buckelwals senkrecht aus dem Wasser. Wir können das riesige Maul und die Augen erkennen. Das Meer ist aufgewühlt – keine 100 m vom Kajak entfernt. Adrenalin in den Adern! Ein Schwarm Möwen kreist über uns. Wir beobachten die unglaubliche Szenerie. Immer wieder taucht er auf! Hat der Wal auch ein Auge auf uns? Was tun, wenn er unter uns auftaucht? Wir drehen ab in eine kleine Bucht, springen aus den Kajaks und laufen auf einen Felsen und beobachten die Tauch-, oder besser die Auftauchvorgänge, von einem sicheren Ort aus. Mit seinen Seitenflossen „winkt“ er uns auf dem Rücken im Wasser liegend zu. Whale Watching vom Feinsten! So ein Live-Erlebnis kann keine TV Doku auf der Couch bieten. Die Tage davor hatten wir bereits riesige Lodden-Schwärme beobachtet. Lodden (grönländ. Ammassaat) sind kleine Fische. Tausende davon bilden eine graugrüne-silbrige Masse im Meer – genau darauf haben es Buckelwale abgesehen. Energieriegel für Wale!

Zwei Wochen zuvor in Grønnedal / Arsuk: 10 lange Monate haben unsere Kajaks am Heliport des dänischen Militärs in Grønnedal überwintert. Zugleich liegt die Zeit der intensiven Vorbereitung für unsere große Reise entlang der Westküste hinter uns. Und das ist der Plan: Zunächst nach Paamiut entlang der Küste mit einer spektakulären „Open Sea“ Etappe. Von Paamiut mit dem Küstenschiff „Sarfaq Ittuk“ huckepack nach Maniitsoq und dann wieder weiter mit den Kajaks durch den Hamburger Sund in den phantastischen Ewigkeitsfjord. Abschließend die Etappe zum Polarkreis nach Sisimiut und ein Hike zum Inlandeis.

Kajakroute (orange) 2017 – 2023 / Küstenschiff Sarfaq Ittuk (grün)

Wir tragen die schwer beladenen Kajaks zum Strand hinunter und nehmen Abschied von Grønnedal und den freundlichen Soldaten der einsamen Militärstation. Der erste Paddelschlag von Zehntausenden die noch kommen werden. Good luck! Wir wissen, dass wir uns beide aufeinander verlassen können – egal was kommt. 3 Monate Freiheit, 3 Monate Abenteuer, 3 Monate draußen zu Hause!

Nach vielen Jahren im Einsatz. Das gute Hillebergzelt bleicht langsam aus. Es sollte die Reise über gerade noch so halten. 3 Monate später riss das Zelt in einem Sturm am Inlandeis. Dann war das Material aufgrund von UV Strahlung am Ende.
Mit dem Sommer kommen die Moskitos. Mit Netz ist die Summerei erträglich.

2 Tage später sind wir nach einem kurzen „Einfahr-Loop“ in Arsuk am offenen Meer. Schon früh am Morgen legt der Wind so zu, dass an eine Weiterfahrt nicht zu denken ist. Gegen 11:00 Uhr kocht das Meer. Überall Schaumkronen und brechende Wellen. No way today! Bei unserem Freund Kunuk finden wir erstmal Unterschlupf in der 90 Einwohner Siedlung und warten. Er schenkt mir einen Kescher den er selbst gebaut hat. Damit kann ich vom Kajak aus angeln und Fische einnetzen. Kunuk weiß was es bedeutet, draußen zu überleben. Erst spät am Abend wird es auf dem Meer langsam ruhiger. Wir beschließen nicht mehr in See zu stechen. Die Morgenstunden sind deutlich ruhiger! So legen wir uns für ein paar Stunden aufs Ohr, bis um 2:00 Uhr der Wecker klingelt. An diesen Rythmus werden wir uns von nun an gewöhnen. Fast 24 h Helligkeit im „Midsommer“ erweitert unsere Fahrtmöglichkeit erheblich, weil wir nicht durch hereinbrechende Nacht ausgebremst werden. Aber generell gilt: Der frühe Vogel fängt den Wurm!

Arsuk im Juni 2023
Überall White Caps

Fast geräuschlos gleiten wir morgens um 3:00 mit den Seekajaks aus dem Naturhafen. Die Arsuker schlafen noch alle an diesem Sonntagmorgen. Hinter der Bucht drehen wir auf Nordkurs. Da ist sie wieder: diese ungeheure Frische, diese Lust auf Neues, die Motivation großartiges zu erleben! Wir fühlen uns wie Schlittenhunde im Neuschnee.

Der markante Uummannaq-Felsen vor Arsuk

Ein Eisberg dümpelt vor der vorgelagerten „Uummannaq“ Insel. Zwischen den Schären fliegen Eidenenten über unsere Köpfe hinweg. Es ist erst halb acht, aber der Wind legt wieder kräftig zu. Der Wetterbericht hatte leider recht. Zu früh gefreut und eigentlich sieht man den Windspeed auch an den geschliffenen Wolken. Wir fahren ein paar Kilometer in eine sichere Bucht und beschließen abzuwarten. Gemeinsam bauen wir das Zelt auf und Ingrid zaubert an diesem strahlend blauen Tag ein phatastisches 5 Sterne Frühstück aus ihrem Kajak heraus. So dösen wir nach dem Brunch in der Sonne, während draußen auf dem Meer der Wind mit deutlich über 20 m/sec (ca. 80 km/h) hinwegfegt. Sturm Nummer 1 – es werden noch weitere kommen. Zum Glück haben wir genug Zeit eingeplant. Die Landschaft ist großartig. Die Knospen der Zwergweide gehen gerade erst auf. Aprilfrische im Juni! Noch liegt Schnee auf den Bergen. Wir genießen den Frühsommer.

Kräftige Dünung morgens um 5:00 Uhr vor der Küste bei Arsuk

2 Tage später erneut früher Aufbruch. Der Wind hat auf Süd gedreht und es ist deutlich ruhiger. Mit schiebendem Rückenwind sind wir auch unglaublich schnell. Wir erreichen die Schlüsselstelle der Etappe nach Paamiut schon gegen Mittag. Ein langgezogener Felsrücken ragt gleich einem riesigem knöchernen Finger ins Meer hinein. Die Felsen sind blank gespült vom ewig anrauschenden Meer. Man braucht nicht viel Phantasie für gruselige Schauergeschichten. Niemand möchte bei Wind und brechenden Wellen diesen Felsen umrunden. Wer dort kentert wird übelst ertrinken oder an den Felsen zerschmettern. Vorsicht, ist die Mutter der Porzellankiste! Auch Kunuk hatte uns gewarnt. Obwohl der Wind noch nicht aufgefrischt hat, beobachten wir das Ganze erstmal aus sicherer Entfernung und schlagen das Zelt auf einer Insel im Fjord auf.

Glück gehabt – das Kap ist heute einfach zu umrunden!

Der Wetterbericht ist für die kommenden Tage hervorragend. Also wie gehabt früh aus den Federn. Vor Sonnenaufgang sitzen wir in den Kajaks. Je weiter wir aus dem Fjord kommen, umso stärker ist die lange Dünung. Ingrid versinkt vor mir immer wieder in den Wellentälern und wird anschließend sanft wie ein Korken empor gehoben – spitzen Verhältnisse. Wir sind sehr weit draußen auf dem offenen Meer und queren die anschließende Bucht bei ruhiger See. Wir beide geben uns den Tagträumen hin und paddeln und paddeln. Über 40 Kilometer stehen abends auf der Uhr, als wir im Smallesund anlanden. Wir kochen ein leckeres Abendessen und „hauen“ ordentlich rein. Nicht weit entfernt von unserem Zelt befindet sich ein Fuchsbau. Die Jungfüchse spielen in der Abendsonne. Ja, wir sind extrem glücklich! Wir würden um nichts in aller Welt tauschen! Auch die Vegetation legt sich mächtig ins Zeug. Gämsheide und das stängellose Leimkraut leuchten in pink und rot um die Wette. Die große Stille macht Grönland aus. Es gibt draußen außerhalb der Ortschaften und Siedlungen praktisch keinen Lärm – überall Wildnis. Das wirkt wohltuend auf die Seele.

Gämsheide (Loiseleuria procumbens) in voller Pracht.
Zwischen Arsuk und Narsalik Ende Juni
3 neugierige Jungfüchse am Smallesund

Die Querung des Eisfjords bei Narsalik ist aufregend. Die Temperatur sinkt schlagartig. Überall Eisschollen und Eisberge in weiß, türkis und blau. Wir suchen uns einen Weg durch das Labyrinth. Das Eis knackt, dreht und schiebt. Spannende Sache! Wir erreichen trotzdem bereits am späten Vormittag Narsalik. Die Insel liegt mitten im Eisfjord. Das Dorf wurde vor ein paar Jahrzehnten aufgegeben. Wir sind nicht wenig überrascht, dass wir herzlichst begrüßt und empfangen werden. Eine Familie aus Paamiut macht Sommerferien. Wir dürfen uns in der warmen Stube aufwärmen. Es gibt Rosinensemmeln und Kaffee. Wir bestaunen all die vielen Bilder an den Wänden. Eine tolle Begegnung mit sehr netten Menschen!

Narsalik Eisfjord – wir finden einen Durchschlupf zwischen Eisbrocken und Eisbergen

Von Narsalik aus paddeln wir weiter durch den Eisfjord, besteigen bei schönem Wetter einen Berg und hangeln uns langsam vor nach Paamiut bis wir auf den im Fressrausch befindlichen Buckelwal stoßen. „Hoffentlich taucht er nicht genau unter unsern Booten an die Oberfläche,“ ist unser naheliegender Gedanke! „Du weißt nie, was unter einem so vorgeht!“

Vor Paamiut- Buckelwal im Fressrausch

Eigentlich liegt ein Hochdruckgebiet über uns, aber der Wind hat den Rauch von Ost- Canadas brennenden Wäldern bis nach Grønland herübergetragen. Bei diesigem Wetter laufen wir in Paamiut ein. Es ist warm und wir freuen uns nach 2 Wochen Wildnis auf eine Dusche an unserem ersten Etappenziel. Die Dorfkids sind neugierig und sie dürfen sich natürlich in unsere Kajaks setzen. Paamiut ist schon fast eine kleine Stadt. Mit Händen, Füßen und ein bisschen norwegisch unterhalten wir uns mit den gesprächigen und netten Bewohnern des Altenheims. Sie genießen die Morgensonne. Das Wort Kajak (grönländisch Qajaq) verstehen sie natürlich alle. Es ist die Generation, die selbst noch mit Kajaks gefahren ist.

Das Wahrzeichen der Hafeneinfahrt von Paamiut. Ein auf Grund gelaufener Trawler.

Huckepack wollen wir mit dem Küstenschiff „Sarfak Ittuk“ ein Stück bis Maniitsoq mitfahren. Während die Kajaks mit dem Kran an Bord gehievt werden, bedauern wir das schon ein wenig. Die Verhältnisse mit leichtem Südwind wären im Moment ideal um am Isblinkgletscher zu kajaken und außerdem unterbricht das irgendwie den Reiserythmus. Aber andererseits gibt es in Grönland noch so viel zu sehen und wir wollen vor allem nicht 3 Monate lang nur stur die Küste hochpaddeln. Wir wollen uns vielmehr Zeit für das Gletschergebiet „Sukkertoppen“ nördlich von Maniitsoq nehmen. Eine Landschaft, die trotz ihrer überwältigenden Schönheit sehr selten besucht wird. Den Ewigkeitsfjord wollen wir sehen!

Nach der Episode auf dem Küstenschiff mit kurzem Stopp in Nuuk geht es von Maniitsoq mit den Seekajaks weiter auf Nordkurs. Wir sind happy wieder draußen zu sein. Zunächst ist ein canyonartiger See mit steilen Felswänden links und rechts unser Zwischenziel. Mit einer mords Plackerei wuchten wir unsere Ausrüstung zum See. Die Lage ist spektakulär. Leider ist die Hälfte des Sees auch nach der Sommersonnenwende immer noch zugefroren. Wir fahren bis zur Eiskante. Das Eis ist dünn, aber kompakt. Es lässt sich nicht durchbrechen.

Der See Inugsuit Tassersuat liegt ungefähr 80 m über dem Meer. Der hintere Teil war immer noch zugefroren
Der Anfang Juli immer noch zugefrorene See und das kleine gelbe Kajak

Keine Ahnung warum die große Insel nördlich von Maniitsoq Hamburger Insel genannt wird. Vielleicht waren dort vor einigen Jahrhunderten Walfänger aus der Hansestadt unterwegs. Die Insel hat jedenfalls nichts mit Hamburg gemein. Das Eiland ist alpin und nicht die Spur von flach. Schaut toll aus! Die Gletscher sind gleichmäßig ansteigend. Wäre für Skitouren sicherlich ein lohnendes Ziel. Durch den Hamburger Sund geht es um die Insel.

Der nördliche Hamburger Sund

So hangeln wir uns durch sensationelle Fjordlandschaften langsam nordwärts. Kurz vor der Siedlung Kangaamiut überholt uns abends ein offener Außenborder. „Can we take a picture?“ fragen nicht wir sondern die Bootsfahrer. Vater (Noah) und Tochter sind unterwegs von Maniitsoq. Wir sollen in jedem Fall in Kangaamiut vorbeischauen. Vor allem müssen wir uns beeilen. Ein Sturmtief ist im Anmarsch und wird uns spätestens in den nächsten 24 Stunden erreichen – schaut für die kommenden Tage nicht so nett aus. Für die Querung der Ewigkeitsfjordmündung ist es heute leider zu spät. Aalglatt liegt das Meer vor uns. Wir sind jedoch zu erschöpft.

Eine innere Unruhe beschleicht uns nachts im Zelt. Lieber früher aufbrechen, weshalb wir bei Sonnenaufgang schon längst auf dem (noch) ruhigen Wasser sind. Haben wir uns getäuscht? Auf halber Strecke ist der Blick nach hinten ernüchternd. Dunkle Wolken bauen sich auf! Die Botschaft ist klar: „Hau rein!“ Nicht trödeln und sich von der wärmenden Sonne einlullen lassen! Wir legen uns ins Zeug und erreichen rechtzeitig die Siedlung Kangaamiut. Keine Stunde später sind die ersten White-Caps zu sehen. Gut, in Sicherheit zu sein! Die Schlechtwetterprognose, die wir über unser Sateliten InReach Gerät erhalten, ist zum Mäuse melken.

Ruhe vor dem Sturm in der Mündung des Ewigkeitsfjords. Die Hakenwolken verraten die anstehende Wetteränderung. Es sollte eine komplette Woche dauern, bis wir ans Weiterfahren denken konnten.

Eine ganze Woche hängen wir in Kangaamiut fest. Aber irgendwie ist das auch ganz ok, da wir doch etwas ausgezehrt sind. Die ersten Tage sind wir nur am Essen und Schlafen. Bei Noah und seiner Familie checken wir täglich das Wetter und wir bekommen einen interessanten Einblick in das Leben der Grönländer. Ganz wichtig ist in jedem Fall das Boot, die Jagd und der Fischfang. 300 Menschen leben in dieser abgelegenen Siedlung, aber niemand lebt hier hinter dem Mond. Die Schule ist modern ausgestattet, in der Sporthalle finden Volleyballturniere statt und sowieso lernen wir im Laufe der Woche immer mehr Leute kennen. Es kommt nicht alle Tage vor, dass 2 Kajaker den Ort besuchen.

Die schöne Siedlung Kangaamiut am Eingang des Ewigkeitsfjords

Sonntag nach der Kirche hat Noah sein Boot aus dem Wasser gezogen und es liegt bei Ebbe nun trocken auf einer Holzrampe. Da ich nichts zu tun habe, helfe ich ihm die vielen Muscheln am Rumpf abzukratzen und mit dem Dampfstrahler zu bearbeiten. Ziemlich mühsam. Außerdem drohe ich auf der schiefen und rutschigen Rampe dauernd ins Wasser abzurutschen. Die Fischer beobachten mich, das ist klar. „Bloß nicht dumm anstellen und im Wasser landen“, denke ich mir. Nach getaner Arbeit gehts auf Probefahrt zu Jägern in den vorgelagerten Schären. Ein Zwergwal wurde erlegt und auf einen Felsen gezogen. Der Wal wird geflenst und zerlegt. Die Freude ist groß und sie verstehen ihr Handwerk. Delikatessen werden vor Ort gegessen. Das ganze Dorf wird mit Walfleisch versorgt. Es wird geteilt. Auch wir bekommen was ab. Eine schöne Geste!

Mit unseren Freunden Astrid, Uli und Axel auf der Yacht „SY Anuk“ haben wir über Garmin InReach regelmäßig Kontakt. Die „Anuk“ befindet sich gerade auf der Ostseite von Grönland im Scoresby Sund. Das Wetter ist bombig. Das gleiche Bild in Südgrönland. Unsere Freunde Paul & Monika aus Narsaq berichten vom „Never ending Summer.“ Nur die Westküste wird von Sturm und Regen heimgesucht. Kann nur besser werden!

Einfahrt in den Ewigheitsfjord

Mit dem abziehenden Tiefdruckgebiet machen wir uns nach einer Woche Dorfleben und mit gefülltem Akku endlich auf in den Ewigkeitsfjord. Die Wildnis beginnt hinter dem letzten Haus. Wir sind wieder auf uns selbst gestellt. Die letzten Regenschauer und Windböen nehmen wir mit. Noch liegen dunkle Wolken über uns, tief liegen unsere beiden Seekajaks im Wasser. Immer wieder wird das Vorderdeck überspült. Vollbeladen für 4 Wochen machen wir uns auf in Richtung Osten. Nachts prasselt der Regen nochmal richtig auf uns ein. Das Zelt hält dicht!

Die Berge links und rechts werden steiler, Gletscher fließen ins Meer. Eine paradisische Landschaft. Ganz allein! Nicht ganz! Unser zweites Camp errichten wir auf einem Felsen an einer Fjordverzweigung und wollen es gar nicht fassen. Ein riesiges schwarz-rotes Schiff biegt fast lautlos und urplötzlich um die Ecke. Es ist die „MS Fridtjof Nansen“ der Hurtigrute aus Norwegen. Die Besatzung und die Passagiere an Bord können es wohl auch nicht glauben. Ein rotes Zelt, zwei Kajaks und zwei winkende Menschen ein paar Meter entfernt im Middle of Nowhere. Der Captain begrüßt uns mit dem Schiffshorn. Das Horn klingt zwischen den Felswänden noch lange nach, Kameras sind auf uns gerichtet, Passagiere winken zurück. Wellnessbereich, Champagner und frisches Brot sind nur einen Steinwurf entfernt! Zwischendurch ist das schon verlockend!

Die MS Fridtjof Nansen begrüßt uns mit Schiffshorn
Fährt leise an uns vorbei, das Flagschiff der Hurtigrute mit Hybridantrieb

Wir errichten auf unseren Reisen meist ein Basecamp und laufen von dort mit leichtem Gepäck auf die umliegenden Berge. So machen wir das auch im Ewigheitsfjord. Es ist immer wieder überraschend, wie Vielfältig die Landschaft sein kann. Faszinierend die Vegetation. Der kurze arktische Sommer lässt die Tundra mit Leimkraut und Steinbrech leuchten. Auch spannend: Wir sind natürlich nicht die ersten Menschen an der Westküste, auch wenn es noch so einsam ist. An günstigen, für Jäger interessanten Plätzen, treffen wir häufig auf Spuren längst vergangener Zeiten. Alte Fuchsfallen aus Steinplatten, Reste von Torfhäusern oder Wikingersiedlungen und nicht zuletzt immer wieder Gräber. Sie sind manchmal an aufgerichteten Steinhäufen zu erkennen.

Im Nachhinein lässt es sich überhaupt nicht sagen, wo unser schönster Campsite war. Fast alle unsere Plätze erreichen mindestens 4 Sterne. Ganz besonders trifft das auf den Ewigheitsfjord zu.

An der Gletscherfront kracht ständig Eis ins Wassser
Gespaltener Felsen im Ewigkeitsfjord – schaut eher aus wie eine Schnappschildkröte

Der Lärm tausender Dreizehenmöwen, Tordalken, Gryllteisten und Dickschnabellummen ist nicht zu überhören. Der Vogelfelsen ist geradzu phantastisch. Stundenlang beobachten wir, wie die Tordalken ihre ersten Flugversuche machen. Nach dem sogenannten „Lummensprung“ der ca. 3 Wochen alten Jungvögel vom Brutfelsen hinunter ins Wasser sind hunderte Alken auf dem Meer und machen ihre ersten Tauch- und Flugversuche. Dickschnabellummen und Tordalken können sogar bis zu 100 m und mehr tauchen und suchen den Grund nach Beute ab. Sie sind Taucher und Flieger.

Tordalk
Dreizehenmöwe und der noch nicht flügge Jungvogel

Das Angelglück ist uns hold. In kurzer Zeit erbeuten wir prächtige Dorsche. Es ist erstaunlich, welch Energie frisches Fleisch im Gegensatz zu Trockennahrung freisetzt.

Abgemagert: Nach ein paar Wochen fehlen mir einige Kilogramm – zum Glück fangen wir Fische.
Das warme Wetter zum Wäschewaschen genutzt

Der Ewigkeitsfjord führt tief ins Landesinnere und macht ein paar 90 Grad Kurven. Die Berge sind so um die 2.000 m hoch und imposant. Gletscher fließen in den Fjord. Schaut aus wie das „Schweizer Wallis“, gefüllt mit Meerwasser.

Ohne Worte
Unser rotes Zelt am Flussdelta Juletræ im Ewigkeitsfjord

Dass es auf unserer Erde überhaupt noch solch unerschlossene und schöne Plätze gibt, versetzt uns in Demut. Wir sind sehr, sehr froh, dass wir das erleben dürfen. Keine Hektik, kein Müll, kein Lärm oder um es anders ausdrücken: Wir sind in einem Paradies gelandet. Kein Wunder, dass wir hier eigentlich kaum noch weiterfahren wollen. So besteigen wir Berge oder wandern zu den Gletscherzungen über loses Geröll entlang wild sprudelnder Flüsse. Das spannende am Bergsteigen in Grönland ist die Routenfindung. Wo geht es am besten rauf und noch wichtiger, wo geht es sicher wieder runter? Wir haben nur ein 20 m langes Seil zum notdürftigen Sichern dabei. Hin und wieder müssen wir zurück und große Umwege in Kauf nehmen. Die Aussichten sind in jedem Fall phänomenal.

Manchmal besuchen uns Polarfüchse am Zelt. Obwohl wir isoliert leben, fühlen wir uns im Ewigkeitsfjord zu Hause!

Schönes Plätzchen zum Baden
Phantastische Aussichten

Nach knapp 4 Wochen verlassen wir den Ewigkeitsfjord und paddeln zurück nach Kangaamiut. Es ist Mitte August und tatsächlich wird es nachts wieder so dunkel, dass wir die ersten Sterne sichten. Ein klares Zeichen für den beginnenden Herbst. An der Fjordmündung tummeln sich zwei Wale. Der Sommer ist vorbei!

Herbstmorgen oder der letzter Spätsommertag im Ewigkeitsfjord

Zurück in Kangaamiut müssen wir uns neu organisieren. Wäschewaschen und Vorräte auffüllen. Wir treffen Noah, der inzwischen erfolgreich einen Moschusochsen und ein Rentier gejagt hat. Er ist gerade dabei das Tier zu zerlegen und wir können ihm Fleisch abkaufen. Luftgetrocknetes Moschusochsenfleisch nehmen wir auch mit. Das ist geballte Energie für die Kajak-Schlussetappe nach Sisimiut. Ein Fischer gibt Ingrid noch Tipps für gute Zeltplätze und die Querung des Söndre Strömfjords. Der Fjord muss an der Mündung ziemlich turbulent sein.

Hausberg von Kangaamiut – sehnsüchtiger Blick zurück in den Ewigheitsfjord
Trockenfisch in Kangaamiut
Kangaamiut – Dorf der tausend Treppen

Wir verlassen das symphatische Kangaamiut und seine netten 300 Bewohnern im Nebelgrau. Die Wetterprognose ist herbstlich. Es wird darauf hinauslaufen Wetterlücken mit wenig Wind für die Fahrt nach Sisimiut zu nutzen. Nordkurs. Schon von Weitem erspät Ingrid den Blas eines Buckelwals genau vor uns. Alle paar Minuten taucht das Tier auf, holt ein paar Atemzüge, zeigt seine Fluke und taucht wieder ab. Vorsichtig nähern wir uns dem Wal und lassen uns treiben. Hin und wieder bewegen wir unsere Paddel im Wasser, damit er uns hört und nicht genau unter uns auftaucht. Mir scheint, dass auch der Wal neugierig ist. Ganz dicht kommt er an mein Kajak. Hammer!

Der Blas vom Buckelwal. Beeindruckend laut.
Dicht dran…..

Da der Südwind bläst kommen wir gut voran. Schon bald sind wir am Søndre Strømfjord, eine Schlüsselstelle. Was haben wir für Geschichten über diese Fjordquerung gehört. Nachdem der Fjord fast 200 km lang ist, pressen sich bei jedem Gezeitenwechsel tausende Tonnen von Meerwasser durch eine extrem turbulente Engstelle. Die Insel Simiutaq liegt wie ein Stöpsel vor dem Fjord. Das wollen wir uns erstmal anschauen und schlagen deshalb unser Zelt auf einer südlich gelegenen kleinen Insel auf. Hätten wir gewusst, dass wir dort 3 Tage festsitzen, wären wir weitergefahren. Am nächsten Tag nimmt der Wind deutlich zu. Dazu gesellt sich Regen. Also abwarten. Wir erkunden die Insel und machen einen einzigen Bewohner ausfindig – ein Schneehuhn. Ansonsten handelt es sich um ein karges Eiland. Immerhin gibt es reichlich Dorsche im Wasser. Meine Angelbeschäftigung ist jedoch mit 3 Auswürfen und zwei kapitalen Fischen nach nur wenigen Minuten erledigt. Wir hören Podcasts, lesen Bücher und beschäftigen uns abends bei Regen mit einem Würfelspiel. Mit dem Whisky aus dem Flachmann und gebratenem Dorsch nimmt der Abend auf dieser öden Insel sogar noch Fahrt auf.

Viel Wind, Regen und etwas Langeweile auf der kleinen, felsigen Insel am Eingang zum Søndre Strømfjord

Nach Wetterberuhigung legen wir im dichten Nebel ab und fahren in den Fjord. Ist etwas spooky, weil wir fast nichts sehen und nach GPS fahren. Nur die Brecher am Ufer sind zu hören, wenn die Dünungswellen auf die Felsen krachen – ist einschüchternd. Da wir mit der Flut einfahren, rechnen wir mit zügiger Fahrt. Weit gefehlt. Trotz auflaufendem Wasser geht es nur im Schneckentempo vorwärts. Das soll uns mal einer erklären. Stundenlang kämpfen wir uns gegen die Strömung um dann im Nebenarm auf der anderen Seite der Insel Simiutaq in entgegengesetzter Richtung schon wieder Gegenströmung und Gegenwind zu haben. Es ist halt doch der Søndre Strømfjord. Aber echte Schauergeschichten können wir nicht erzählen.

Das Gewässer in Richtung Sisimiut ist ziemlich flach und überall schauen Felsen und Schären aus dem Meer. Nur mit einem Kajak und seinem unbedeutendem Tiefgang lässt es sich in dem flachem Gewässer sicher entlang fahren. Wir kommen gut vorwärts. 2 Tage nutzen wir für einen ausgedehnten Hike mit Rucksack und Zelt hinein in die Berge. Das ist schon wieder so ein kleines liebliches Paradies.

Paradiesisch: Der Fluss Napiarissat und unser Camp im Landesinneren

Die Wettervorhersage mahnt dann irgendwann doch zur Eile. Sehr früh legen wir ab, um bereits nach einer halben Stunde im Nebel herumzustochern. Wir vertrauen blind dem GPS und fahren aufgrund des kräftigen Südwinds extrem flott in Richtung Norden. Stündlich wächst die Wellenhöhe. Vor der letzten Fjordquerung landen wir kurz in einer geschützten Bucht an und besprechen die Lage. „Was tun?“ Weiter rein in den Fjord oder direkt übersetzen nach Itilleq? Wir entscheiden uns für den direkten Weg. Die Überfahrt ist sportlich und wir surfen auf der einen oder anderen Welle im halben Wind. Die eisige Kälte des Wassers trifft mit der Gischt unser Gesicht – Salz auf Haut und Sonnenbrille. Immer wieder wische ich mit den Handschuhen über die Brillengläser. In Fjordmitte checken wir nochmal die Lage: „Die Wellenhöhe ist weiterhin machbar!“ Wir können den Kurs halten. Zügig geht es die letzten 20 Minuten hinüber zur Küste. Je mehr wir uns der Küste nähern, umso einfacher wird es. Wir erreichen den sicheren Hafen mit seinen bunten Häusern gegen Mittag. Der Pillersuisoq Landhandel und Dorfladen macht gerade zu. Aber im Gemeindehaus treffen wir auf zwei Gemeindemitarbeiterinnen und die neue Dorfschullehrerin. Wir dürfen den Sturm in einem leerstehenden Haus abwettern und ein paar Tage bleiben. Alles richtig gemacht!

Fahrt nach Itilleq bei sehr windigem und ungemütlichem Wetter
Fjordquerung vor dem anrückenden Sturm. Die eine oder andere Welle trifft uns von der Seite. Auf den Fotos schaut es immer so harmlos aus. Aber hier wurden wir ordentlich durchgeschüttelt.
Extrem lecker – Rentierfleisch wird zum Trocknen ausgelegt.

Ein Jäger verkauft uns Rentierfleisch. Wir hauen richtig rein, haben wir doch inzwischen nur noch wenig auf den Rippen. Nach 4 Tagen legt sich der Wind und wir packen zusammen. Wir verabschieden uns. Ein Fischer nimmt meine Hand und wünscht uns alles Gute für die Reise. Er weiß ganz genau, wie sich das anfühlt alleine da draußen zu sein. Das Meer ist launisch. Nur allzugut kann ich inzwischen die abergläubigen Seefahrer verstehen. Irgendwann habe ich mich dabei ertappt, wie ich anfange mit dem Meer zu reden, wenn die Wellen zu hoch werden!

Hohe Dünung bei Itilleq die Welle rauf und auf der anderen Seite wieder runter! Aus der Kajak-Dackelperspektive immer wieder beeindruckend.

Wir nehmen nicht den direkten Kurs nach Sisimiut sondern fahren einen Umweg über Sarfanguaq. Das müsste etwas ruhiger sein mit weniger Open Sea. In den Fjorden ist es ruhig (und auch etwas zäh). 38 Kilometer schaffen wir an diesem Tag. Am darauffolgenden Tag erreichen wir die Siedlung Sarfanguaq und legen abends auch schon wieder ab in Richtung Westen. Die Wetterprognose ist ungünstig (starker Wind) – fahren deshalb bis in die Dämmerung. Long story short: Einen kompletten Tag an wirklich ungünstiger Stelle festgehangen und 20 Stunden im Zelt gelegen. Nur 8 Kilometer in Sichtweite von Sisimiut drehten wir sogar nochmal um und liefen in den Hafen von Assaqutaq (eine aufgegebene Siedlung). Die Wellen wurden einfach zu hoch. Eine gute Entscheidung, denn zum einen trafen wir dort eine nette Schulklasse der Knud Rasmussens Højskole auf Schullandheim mit einem herzlichen Empfang und zum anderen hörten wir einen Tag später, dass die Wellenhöhe selbst für abgebrühte grönländische Bootsführer kein „Kindergeburtstag“ war. Alles richtig gemacht.

Sisimiut in Sichtweite
Andere Welt: Hotelschiff an der Pier
Ankunft im Hafen von Sisimiut

Die letzten 12 Kilometer zum Ziel legen wir dann doch noch bei Sonnenschein und einem winzigen Zwischenhoch in schnellen 2 Stunden zurück. In der Sisimiut Hafeneinfahrt gibt es ein paar Schäreninseln. Von den vierbeinigen Bewohnern werden wir mit Jaulen begrüßt. Zum Glück müssen wir dort nicht anlegen. Die Schlittenhunde haben im Sommer nicht viel zu Fressen! Es sind in jedem Fall keine Streichelhunde. An einem riesigen Kreuzfahrtschiff vorbei geht es in den Hafen und weiter zum Qajaq Klub von Sisimiut. Der letzte Paddelschlag in 2023. We made it! Wir umarmen uns und sind mehr als glücklich!

Hungrige Schlittenhunde empfangen uns in Sisimiut
Qajaq Klub Sisimiut

Wir verstauen die Kajaks und verlegen unseren Krempel zum Sisimiut Vandrehjem. Am besten ist die heiße Flatrate-Dusche und ein Berg Spaghetti mit Rotwein. Haben wir uns verdient! Sehr cool sind die super netten Begegnungen im Vandrehjem. Zum Beispiel Julie-Anne und Vincent aus Canada. Sie liefen vom Inlandeis nach Sisimiut auf dem Arctic Circle Trail (ACT). Vorher fuhren die Beiden mit ihren Fahrrädern von Südspanien über Griechenland locker bis zum Nordkap und zurück nach Kopenhagen. Respekt! Was für eine sensationelle Reise der beiden Canadier. Wir haben uns stundenlang etwas zu erzählen. Und irgendwie sind wir auch ausgehungert nach neuen Geschichten. Wir waren doch sehr lange alleine draußen in der Einsamkeit unterwegs.

Happy in Sisimiut

Die Kajaks dürfen wir über den Winter in der Knud Rasmussens Højskole einlagern. Das ist großartig! Dafür müssen wir den Schülern etwas über unsere Reise berichten, was wir gerne machen. Der Bericht von Ingrid wird direkt ins grönländische übersetzt. Am witzigsten war die Feststellung der Grönländer, dass wir ja gar nicht mit richtigen Kajaks unterwegs sind. Echte Kajaks sind aus Holz und mit Leinen oder Seehundfell bespannt. Ein Schüler meint auch, dass die Dickschnabellummen viel besser schmecken als Tordalken. Ist halt eine andere Perspektive! Wir unterhalten uns noch eine ganze Zeit lang.

Historisches Sisimiut: Kirche aus der Kolonialzeit

Nach so vielen Wochen im Kajak, müssen wir uns noch etwas bewegen. Daher unser geplantes Rucksack- Finale am Inlandeis! Ausgangspunkt ist der Flughafen Kangerlussuaq am Polarkreis. Von hier führt eine Schotterstraße zum Inlandeis. Kurioserweise baute Volkswagen vor einigen Jahrzehnten die Straße weiter hinauf auf das Inlandeis, um Autos auf dem Eis zu testen. Das Programm wurde nach kurzer Zeit eingestellt. Geblieben ist die mit knapp 40 Kilometern längste Straße Grönlands. Mit unseren Rucksäcken erreichen wir im Schneetreiben das Eisschild. Die Spalten auf der Eiskappe sind leider alle durch den Niederschlag der letzten Tage zugeschneit. Ohne Seil und Steigeisen ist das Betreten der Eisfläche für uns zu riskant. Daher bleiben wir nur am Rand und bewundern die endlos vergletscherte Fläche. Faszinierend! So um die 700 Kilometer sind es von hier bis an die Ostküste. Eine endlose und wellige Eislandschaft.

Im Schneetreiben am Eis – in dieser Nacht hatten wir minus 10°
Wo ist der weiße Polarhase?
Auf dem Inlandeis
Anfang September: Unser Camp am Eisrand auf ca 650 m Seehöhe vor dem nachts einsetzenden Sturm
Ein mächtiger Moschusochse besucht uns am Zelt
Russelgletscher – der Rückgang ist durch die warme Witterung der letzten Jahrzehnte enorm und wird wissenschaftlich durch die Universität Kopenhagen untersucht und dokumentiert.

Laufen statt Kajakfahren. Das tut gut, völlig andere Muskeln zu bewegen. Nach kurzer Zeit sind wir an das Rucksackschleppen gewöhnt. Wir fühlen uns leicht. Tatsächlich haben wir in 11 Wochen ganz schön Gewicht verloren. 7 – 8 kg weniger – wir sind Striche in der Landschaft. Ein Schneehase hoppelt vor uns im Schnee. Endlich ist auch er besser getarnt. Der Winter naht. Wir finden einen fantastischen Platz mit Blick auf das Eis und richten das Zelt genau in den Wind aus. Abends wird es schlagartig kalt. Kein Wunder, der Gefrierschrank (das Inlandeis) befindet sich gleich neben uns und zu allem Überfluss dreht nach der Dämmerung der Wind um 90 °. Eigentlich logisch, dass nachts der Wind vom Eis weht. Da waren wir zu optimistisch! Alles ist sofort eingefroren – der Bach, die Schuhe und der Boden. Wir kochen noch schnell heißes Wasser und funktionieren unsere Trinkflaschen in Wärmflaschen um. Das macht die Nacht bei rund minus 10° einigermaßen erträglich! Gegen Mitternacht bläst der Wind immer stärker. Irgendwann ist es Sturm. Das Zelt biegt sich in den Böen und arbeitet mächtig. Wir stützen es so gut wie möglich. Wird der Sturm stärker, müssen wir umbauen. Gegen 2:00 Uhr sind die übelsten Böen durch und außerdem vertrauen wir auf die Qualität von Hilleberg. Irgendwann fallen wir in einen unruhigen Schlaf und wachen durchgerüttelt am Morgen wieder auf. Das Zelt hat von nun an einen großen Riß im Vorzelt. Das Material ist offenbar am Ende. Zuviel Sonne abbekommen, zu viel UV Licht! Hält leider doch nicht so lange wie gedacht! Die letzten drei Tage wird es schon noch einigermaßen halten. Wir packen alles zusammen und wandern vom Inlandeis (ca. 650 m über dem Meer) hinunter zum Russelgletscher. Hier campen wir direkt an der Abbruchkante des Inlandeises und „baden“ im eiskalten Gletscherfluss. Ist zwar sehr frisch bei einer geschätzten Wassertemperatur von ca. 3 Grad, aber die Erfrischung ist es wert! In Richtung Westen befindet sich eine wüstenhafte Sandebene, die wir durchqueren um anschließend auf einem Höhenrücken zum Flughafen „Kangerlussuaq“ (SFJ – Sondre Strömfjord) zu laufen.

Ein schöner Trail führt auf einem langen Bergrücken zurück nach Kangerlussuaq. Dies ist einer der wenigen Trails in Grönland und im Grunde der verlängerte Teil des Arctic Circle Trails (ACT), welcher von Kangerlussuaq nach Sisimiut führt. Wir übernachten ein letztes mal in unserem Zelt. Nieselregen. Drei großartige Monate gehen zu Ende. Vorbei ist der Sommer – es ist Herbst geworden!

Polarlicht und Vollmond am Inlandeis

Epilog: Was bleibt nach einer langen Reise? Wir waren schnell wieder drin im Alltag und irgendwie auch nicht. Immer wieder wandern die Gedanken nach Grönland. Was machen die Menschen in Arsuk oder Kangaamiut gerade jetzt in der dunklen Jahreszeit? Stürme peitschen über das Meer, Schnee legt sich über das Land. Wir haben einen riesen Respekt vor den Inuit die hier leben. Für uns bleibt die Erinnerung an einen phantastischen Sommer, auch wenn wir richtig kämpfen mussten. Die letzte Etappe nach Sisimiut hatte es in sich! Ungewissheit, Überraschungen, Stürme und stahlblauer Himmel. Wir wollten es nicht anders. Uns beide hat das noch mehr zusammengeschweißt. Übrigens las ich 4 Wochen später, dass sich nach Kangerlussuaq ein Eisbär verirrt hatte.

Im nächsten Sommer geht es weiter. Wir studieren schon jetzt die Karten und diskutieren über die Route von Sisimiut nach Ilulissat. Wir suchen auch nach einem neuen Zelt.

Keep in motion. Es lohnt sich!

Kiefersfelden im Dezember 2023